Grundprüfungsschema für unechte Unterlassungsdelikte (§ 13 StGB): Bestraft wird für ein Unterlassen nur bei Garantenstellung, also wenn der Täter die Pflicht hatte, den eingetretenen Schadenserfolg abzuwenden.
- Inhaltsverzeichnis
- Tatbestand
- Objektiver TB
- Erfolgseintritt
- Unterlassen
- Garantenstellung (§ 13 I StGB)
- (Quasi-)Kausalität (auch: “hypothetische Kausalität“)
- Objektive Zurechnung
- Entsprechungsklausel (§ 13 I StGB)
- Subjektiver TB
- Rechtswidrigkeit
- Allgemeine Rechtfertigungsgründe
- Besonderer Rechtfertigungsgrund: Rechtfertigende Pflichtenkollision
- Schuld
- Allg. Schuldelemente
- Besonderer Entschuldigungsgrund: Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
Während echte Unterlassungsdelikte bereits in ihrem Tatbestand ein Unterlassen unter Strafe stellen und somit jedermann adressieren (z.B. 323c StGB), ist bei unechten Unterlassungsdelikten ein Unterlassen nicht im Tatbestand angelegt, sondern nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 13 StGB strafbar, sodass der Täter Garant sein muss.
Tatbestand
Objektiver TB
Erfolgseintritt
Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs.
Unterlassen
Unterlassen = Nichtvornahme der zur Erfolgsabwehr gebotenen Handlung trotz physisch-realer Abwehrmöglichkeit
Wonach erfolgt die Abgrenzung Tun (Begehungsdelikt) / Unterlassen (Unterlassungsdelikt)?
Wann wird beim versuchten Unterlassungsdelikt unmittelbar angesetzt?
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e.A.: Verstreichenlassen der ersten Rettungsmöglichkeit
(con) Systematik: Vorverlagerung der Strafbarkeit.
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a.A.: Verstreichenlassen der letzten Rettungsmöglichkeit
(con) Systematik: starke Verlagerung nach hinten, da Verstreichenlassen der letzten Rettungsmöglichkeit in den meisten Fällen bereits zur Vollendung führt (dann vollendete Vorsatztat, aber kein Anwendungsbereich für Versuch).
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h.M.: Rechtsgut ist konkret gefährdet
Das Rechtsgut ist i.d.R. konkret gefährdet, wenn der Täter nach seiner Vorstellung den Geschehensablauf und damit jede Rettungsmöglichkeit aus der Hand gibt.
(pro) Vermittelnde Ansicht; keine übermäßige Verlagerung der Strafbarkeit in die eine oder andere Richtung.
Garantenstellung (§ 13 I StGB)
Die Vorwerfbarkeit des Unterlassens setzt eine Handlungspflicht voraus. Diese ergibt sich aus der Garantenstellung.
Garant = Person, die rechtlich dafür einzustehen hat, dass ein bestimmter Erfolg nicht eintritt.
Ist eine Garantenstellung aus Ingerenz auch bei rechtmäßigem Vorverhalten möglich?
Beispiele: T schlägt O in Notwehr (§ 32 StGB) nieder und lässt ihn in der Kälte erfrieren; T fährt trotz Einhaltung der Verkehrsregeln O an und lässt ihn schwer verletzt zurück; T rettet sein Leben durch einen Sprung aus dem brennenden Haus und verletzt die unten stehende O.
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h.M.: Ingerenz nur bei pflichtwidriger Gefahrverursachung
(pro) Wortlaut des § 13 I StGB; nur wer "rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt"
(pro) Systematik: Strafbarkeit wg. unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) erfasst regelmäßig den Unrechtsgehalt; in Notwehrfällen ist die Herbeiführung dem Notwehropfer selbst anzulasten.
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a.A.: Ingerenz auch bei nicht pflichtwidriger Gefahrverursachung
(pro) Gefahrabwendungspflicht ergibt sich bereits aus Verursachung, nicht aus Pflichtwidrigkeit.
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a.A.: Unterscheidung nach Rechtfertigungsgründen; keine Ingerenz bei Notwehr (§ 227 BGB, § 32 StGB), aber bspw. bei rechtfertigendem Notstand (§§ 228, 904 BGB, § 34 StGB)
(pro) Systematik: Anders als bei der Notwehr ist dem Opfer seine Schädigung bei rechtfertigendem Notstand regelmäßig nicht selbst anzulasten.
(pro) Systematik: Schadensersatzpflicht bei Notstand (§§ 228 S. 2, 904 S.2 BGB) zeigt, dass Schädiger hier - anders als bei Notwehr (§ 227 BGB) - für die Folgen seiner Handlung einzustehen hat.
(Quasi-)Kausalität (auch: “hypothetische Kausalität“)
(Quasi-)Kausalität bei Unterlassungsdelikten: Ein Unterlassen ist kausal für den eingetretenen Erfolg, wenn die gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden, ohne dass der Erfolg ...
Nach welchem Maßstab bestimmt sich die Kausalität bei Unterlassungsdelikten (rechtmäßiges Alternativverhalten)?
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h.M: Vermeidbarkeitstheorie
Kausalität nur, wenn der eingetretene Erfolg bei gebotener Handlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre (= täterfreundlicher).
(pro) Systematik: Grundsatz in dubio pro reo erfordert, die Kausalität bei Zweifeln zu verneinen; § 13 StGB soll Erfolgsdelikte nicht zu Gefährdungsdelikten umfunktionieren.
- a.A.: Risikoverringerungslehre / Risikoerhöhungslehre
Kausalität auch, wenn der eingetretene Erfolg bei gebotener Handlung möglicherweise entfallen wäre, d.h. weniger wahrscheinlich gewesen wäre (= opferfreundlicher).
(pro) Systematik: in dubio pro reo-Grundsatz gilt lediglich für den Nachweis von Tatbestandsmerkmalen, nicht für deren Festlegung; Telos: Unterlassungsdelikte sollen davor schützen, dass dem Opfer pflichtwidrig Rettungschancen genommen werden, sodass bereits das Unterlassen einer möglichen Rettungschance ausreichen muss
Hinweis: Das gleiche Problem stellt sich auch bei Fahrlässigkeitsdelikten, wird dort jedoch i.d.R. im Rahmen der objektiven Zurechnung diskutiert - siehe das Grundschema: Fahrlässiges Begehungsdelikt (§ 15 Var. 2 StGB).
Beim Unterlassungsdelikt wird auf das Merkmal „in seiner konkreten Gestalt“ bei der Kausalitätsprüfung verzichtet. Andernfalls wäre der Täter auch dann strafbar, wenn er den Erfolg nicht abwenden, aber durch einen anderen ersetzen könnte.
Beispiel: Der Vater kann seine Kinder nicht aus dem brennenden Haus retten, könnte sie aber durch einen tödlichen Wurf aus 6m Höhe vor dem Feuertod bewahren (Brandrettungsfall, BGH JZ 1973, 173).
Objektive Zurechnung
Umstritten ist, ob bei unechten Unterlassungsdelikten eine objektive Zurechnung gesondert zu prüfen ist.
- Da die (Quasi-) Kausalität hier durch Hinzudenken hypothetischer Verhinderungshandlung begründet wird, sind anders als bei Begehungsdelikten nicht auch entfernte Handlungen (z.B. Geburt des Täters) von der Kausalität erfasst. Häufig wird bei Unterlassungsdelikten daher keine scharfe Trennung zwischen Kausalität und objektiver Zurechnung vorgenommen.
- Teilweise werden jedoch auch erst hier - unter dem Prüfungspunkt objektive Zurechnung - die oben genannten Probleme des Vermeidbarkeit/Risikoverringerung und Wegfalls des Erfolgs in seiner konkreten Gestalt diskutiert.
Entsprechungsklausel (§ 13 I StGB)
Wenn sich Strafbarkeit nicht allein durch Erfolgsverursachung ergibt, muss Unterlassen der Verwirklichung des Tatbestandes entsprechen.
Subjektiver TB
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Mindestens bedingter Vorsatz / Eventualvorsatz (dolus eventualis) bzgl. des obj. Tatbestandes einschließlich der Umstände, die die Garantenstellung begründen und der Rettungsmöglichkeit
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Die Handlungspflicht muss hingegen nicht vom Vorsatz erfasst sein.
Rechtswidrigkeit
Allgemeine Rechtfertigungsgründe
Prüfung der allg. Rechtfertigungsgründe. Siehe hierzu die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Besonderer Rechtfertigungsgrund: Rechtfertigende Pflichtenkollision
Spezifisch bei den Unterlassungsdelikten ist zu prüfen, ob eine rechtfertigende Pflichtenkollision vorliegt:
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Objektive Voraussetzung
Kollision mehrerer gleichrangiger Handlungspflichten, von denen der Täter nur einer nachkommen kann.
Str. ob auch bei gleichwertigen Rechtsgütern, aber unterschiedlicher Pflichtenstellung einschlägig: z.B. Rettung des Freundes (wg. § 323c StGB) vs. Rettung der Ehefrau (wg. § 13 I StGB).
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Subjektive Voraussetzung
Kenntnis der rechtfertigenden Situation.
Schuld
Allg. Schuldelemente
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für die allg. Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Besonderer Entschuldigungsgrund: Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
Spezifisch bei Unterlassungsdelikten ist nach h.M. als ungeschriebener Entschuldigungsgrund die (Un-)Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu untersuchen. Dies erfolgt im Rahmen einer Gesamtabwägung zwischen ...
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eigenen billigenswerten Interessen, die durch Erfüllung der Handlungspflicht gefährdet sind und
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zu befürchtenden Rechtsguteingriffen auf Opferseite
Bsp.: T rettet ihren Freund statt ihrer Schwester, für die sie garantenpflichtig ist, aus dem brennenden Haus