StGB Strafgesetzbuch
Strafrecht AT
- 1.
- Angehöriger:wer zu den folgenden Personen gehört:
- a)
- Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, der Ehegatte, der Lebenspartner, der Verlobte, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner, und zwar auch dann, wenn die Ehe oder die Lebenspartnerschaft, welche die Beziehung begründet hat, nicht mehr besteht oder wenn die Verwandtschaft oder Schwägerschaft erloschen ist,
- b)
- Pflegeeltern und Pflegekinder;
- 2.
- Amtsträger:wer nach deutschem Recht
- a)
- Beamter oder Richter ist,
- b)
- in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht oder
- c)
- sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen;
- 2a.
- Europäischer Amtsträger:wer
- a)
- Mitglied der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, des Rechnungshofs oder eines Gerichts der Europäischen Union ist,
- b)
- Beamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union oder einer auf der Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung ist oder
- c)
- mit der Wahrnehmung von Aufgaben der Europäischen Union oder von Aufgaben einer auf der Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung beauftragt ist;
- 3.
- Richter:wer nach deutschem Recht Berufsrichter oder ehrenamtlicher Richter ist;
- 4.
- für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter:wer, ohne Amtsträger zu sein,
- a)
- bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, oder
- b)
- bei einem Verband oder sonstigen Zusammenschluß, Betrieb oder Unternehmen, die für eine Behörde oder für eine sonstige Stelle Aufgaben der öffentlichen Verwaltung ausführen,
beschäftigt oder für sie tätig und auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet ist; - 5.
- rechtswidrige Tat:nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht;
- 6.
- Unternehmen einer Tat:deren Versuch und deren Vollendung;
- 7.
- Behörde:auch ein Gericht;
- 8.
- Maßnahme:jede Maßregel der Besserung und Sicherung, die Einziehung und die Unbrauchbarmachung;
- 9.
- Entgelt:jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung.
Grundschema: Vorsätzliches unechtes Unterlassungsdelikt (§ 13 StGB)
Grundprüfungsschema für unechte Unterlassungsdelikte (§ 13 StGB): Bestraft wird für ein Unterlassen nur bei Garantenstellung, also wenn der Täter die Pflicht hatte, den eingetretenen Schadenserfolg abzuwenden.
- Inhaltsverzeichnis
- Tatbestand
- Objektiver TB
- Erfolgseintritt
- Unterlassen
- Garantenstellung (§ 13 I StGB)
- (Quasi-)Kausalität (auch: “hypothetische Kausalität“)
- Objektive Zurechnung
- Entsprechungsklausel (§ 13 I StGB)
- Subjektiver TB
- Rechtswidrigkeit
- Allgemeine Rechtfertigungsgründe
- Besonderer Rechtfertigungsgrund: Rechtfertigende Pflichtenkollision
- Schuld
- Allg. Schuldelemente
- Besonderer Entschuldigungsgrund: Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
Während echte Unterlassungsdelikte bereits in ihrem Tatbestand ein Unterlassen unter Strafe stellen und somit jedermann adressieren (z.B. 323c StGB), ist bei unechten Unterlassungsdelikten ein Unterlassen nicht im Tatbestand angelegt, sondern nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 13 StGB strafbar, sodass der Täter Garant sein muss.
Tatbestand
Objektiver TB
Erfolgseintritt
Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs.
Unterlassen
Unterlassen = Nichtvornahme der zur Erfolgsabwehr gebotenen Handlung trotz physisch-realer Abwehrmöglichkeit
Wonach erfolgt die Abgrenzung Tun (Begehungsdelikt) / Unterlassen (Unterlassungsdelikt)?
-
h.M.: Nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit
- a.A.: Immer Tun, wenn kausal verursacht bzw. wenn Energie eingesetzt wird
Wann wird beim versuchten Unterlassungsdelikt unmittelbar angesetzt?
-
e.A.: Verstreichenlassen der ersten Rettungsmöglichkeit
(con) Systematik: Vorverlagerung der Strafbarkeit. -
a.A.: Verstreichenlassen der letzten Rettungsmöglichkeit
(con) Systematik: starke Verlagerung nach hinten, da Verstreichenlassen der letzten Rettungsmöglichkeit in den meisten Fällen bereits zur Vollendung führt (dann vollendete Vorsatztat, aber kein Anwendungsbereich für Versuch). -
h.M.: Rechtsgut ist konkret gefährdet
Das Rechtsgut ist i.d.R. konkret gefährdet, wenn der Täter nach seiner Vorstellung den Geschehensablauf und damit jede Rettungsmöglichkeit aus der Hand gibt.
(pro) Vermittelnde Ansicht; keine übermäßige Verlagerung der Strafbarkeit in die eine oder andere Richtung.
Garantenstellung (§ 13 I StGB)
Die Vorwerfbarkeit des Unterlassens setzt eine Handlungspflicht voraus. Diese ergibt sich aus der Garantenstellung.
Garant = Person, die rechtlich dafür einzustehen hat, dass ein bestimmter Erfolg nicht eintritt.
- Beschützergarant
Der Beschützergarant hat sich vor den zu Beschützenden zu stellen (Obhutspflicht).
Zu Fallgruppen verdichtete Beispiele:-
Natürliche (familiäre) Verbundenheit
z.B. Eltern für Kinder (s. § 1626 I, 1631 I BGB), Ehegatten füreinander (s. § 1353 I BGB), Geschwister -
Enge Lebens- / Gefahrengemeinschaft
z.B. nichteheliche Lebensgemeinschaft, Bergsteiger -
Stellung als Amtsträger oder Organ juristischer Personen
z.B. Jugendhilfe, GmbH‑Geschäftsführer -
Tatsächliche, freiwillige Übernahme von Schutzpflichten
z.B. Babysitter, Arzt nach Behandlungsübernahme
-
-
Überwachungsgarant
Zu Fallgruppen verdichtete Beispiele:
Der Überwachergarant hat sich vor die Gefahrenquelle zu stellen (Sicherungspflichten).-
Tatsächliche, freiwillige Übernahme von Sicherungspflichten
z.B. Hundesitter -
Sachherrschaft über eine Gefahrenquelle
z.B. Betreiber einer Fabrik -
Verantwortung für rechtswidriges Verhalten Dritter
z.B. Eltern für (Klein-)Kinder -
Ingerenz = vorangegangenes (pflichtwidriges) gefahrbegründendes Verhalten des Täters selbst, das die nahe Gefahr des Erfolgseintritts schafft
Nur, bei schadensnahem Vorverhalten; wenn also Vorverhalten die Gefahr des konkret untersuchten Deliktes mit sich bringt. Dies wird bei Verletzung von Rechtsnormen, die das betroffene Rechtsgut schützen, regelmäßig angenommen.Beispiele:
-
Autofahrer fährt durch Fahrlässigkeit Fußgänger an und verletzt diesen schwer → Pflicht für Rettung zu sorgen
-
Nicht, wenn A bei B einbricht und auf der Flucht entdeckt, dass B ohne Kenntnis des Einbruchs einen Herzinfarkt erleidet und ihm nicht hilft. → Einbruch begründete nicht die Gefahr des Herzinfarktes, ggf. nur unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) als echtes Unterlassungsdelikt; aber nicht etwa Körperverletzung durch Unterlassen (§§ 223, 13 StGB).
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-
Ist eine Garantenstellung aus Ingerenz auch bei rechtmäßigem Vorverhalten möglich?
Beispiele: T schlägt O in Notwehr (§ 32 StGB) nieder und lässt ihn in der Kälte erfrieren; T fährt trotz Einhaltung der Verkehrsregeln O an und lässt ihn schwer verletzt zurück; T rettet sein Leben durch einen Sprung aus dem brennenden Haus und verletzt die unten stehende O.
-
h.M.: Ingerenz nur bei pflichtwidriger Gefahrverursachung
(pro) Wortlaut des § 13 I StGB; nur wer "rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt"
(pro) Systematik: Strafbarkeit wg. unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) erfasst regelmäßig den Unrechtsgehalt; in Notwehrfällen ist die Herbeiführung dem Notwehropfer selbst anzulasten. -
a.A.: Ingerenz auch bei nicht pflichtwidriger Gefahrverursachung
(pro) Gefahrabwendungspflicht ergibt sich bereits aus Verursachung, nicht aus Pflichtwidrigkeit. -
a.A.: Unterscheidung nach Rechtfertigungsgründen; keine Ingerenz bei Notwehr (§ 227 BGB, § 32 StGB), aber bspw. bei rechtfertigendem Notstand (§§ 228, 904 BGB, § 34 StGB)
(pro) Systematik: Anders als bei der Notwehr ist dem Opfer seine Schädigung bei rechtfertigendem Notstand regelmäßig nicht selbst anzulasten.
(pro) Systematik: Schadensersatzpflicht bei Notstand (§§ 228 S. 2, 904 S.2 BGB) zeigt, dass Schädiger hier - anders als bei Notwehr (§ 227 BGB) - für die Folgen seiner Handlung einzustehen hat.
(Quasi-)Kausalität (auch: “hypothetische Kausalität“)
(Quasi-)Kausalität bei Unterlassungsdelikten: Ein Unterlassen ist kausal für den eingetretenen Erfolg, wenn die gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden, ohne dass der Erfolg ...
-
h.M.: ... mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.
-
a.A.: ... weniger wahrscheinlich wäre.
Nach welchem Maßstab bestimmt sich die Kausalität bei Unterlassungsdelikten (rechtmäßiges Alternativverhalten)?
-
h.M: Vermeidbarkeitstheorie
Kausalität nur, wenn der eingetretene Erfolg bei gebotener Handlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre (= täterfreundlicher).
(pro) Systematik: Grundsatz in dubio pro reo erfordert, die Kausalität bei Zweifeln zu verneinen; § 13 StGB soll Erfolgsdelikte nicht zu Gefährdungsdelikten umfunktionieren. - a.A.: Risikoverringerungslehre / Risikoerhöhungslehre
Kausalität auch, wenn der eingetretene Erfolg bei gebotener Handlung möglicherweise entfallen wäre, d.h. weniger wahrscheinlich gewesen wäre (= opferfreundlicher).
(pro) Systematik: in dubio pro reo-Grundsatz gilt lediglich für den Nachweis von Tatbestandsmerkmalen, nicht für deren Festlegung; Telos: Unterlassungsdelikte sollen davor schützen, dass dem Opfer pflichtwidrig Rettungschancen genommen werden, sodass bereits das Unterlassen einer möglichen Rettungschance ausreichen muss
Hinweis: Das gleiche Problem stellt sich auch bei Fahrlässigkeitsdelikten, wird dort jedoch i.d.R. im Rahmen der objektiven Zurechnung diskutiert - siehe das Grundschema: Fahrlässiges Begehungsdelikt (§ 15 Var. 2 StGB).
Beim Unterlassungsdelikt wird auf das Merkmal „in seiner konkreten Gestalt“ bei der Kausalitätsprüfung verzichtet. Andernfalls wäre der Täter auch dann strafbar, wenn er den Erfolg nicht abwenden, aber durch einen anderen ersetzen könnte.
Beispiel: Der Vater kann seine Kinder nicht aus dem brennenden Haus retten, könnte sie aber durch einen tödlichen Wurf aus 6m Höhe vor dem Feuertod bewahren (Brandrettungsfall, BGH JZ 1973, 173).
Objektive Zurechnung
Umstritten ist, ob bei unechten Unterlassungsdelikten eine objektive Zurechnung gesondert zu prüfen ist.
- Da die (Quasi-) Kausalität hier durch Hinzudenken hypothetischer Verhinderungshandlung begründet wird, sind anders als bei Begehungsdelikten nicht auch entfernte Handlungen (z.B. Geburt des Täters) von der Kausalität erfasst. Häufig wird bei Unterlassungsdelikten daher keine scharfe Trennung zwischen Kausalität und objektiver Zurechnung vorgenommen.
- Teilweise werden jedoch auch erst hier - unter dem Prüfungspunkt objektive Zurechnung - die oben genannten Probleme des Vermeidbarkeit/Risikoverringerung und Wegfalls des Erfolgs in seiner konkreten Gestalt diskutiert.
Entsprechungsklausel (§ 13 I StGB)
Wenn sich Strafbarkeit nicht allein durch Erfolgsverursachung ergibt, muss Unterlassen der Verwirklichung des Tatbestandes entsprechen.
Subjektiver TB
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Mindestens bedingter Vorsatz / Eventualvorsatz (dolus eventualis) bzgl. des obj. Tatbestandes einschließlich der Umstände, die die Garantenstellung begründen und der Rettungsmöglichkeit
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Die Handlungspflicht muss hingegen nicht vom Vorsatz erfasst sein.
Rechtswidrigkeit
Allgemeine Rechtfertigungsgründe
Prüfung der allg. Rechtfertigungsgründe. Siehe hierzu die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Besonderer Rechtfertigungsgrund: Rechtfertigende Pflichtenkollision
Spezifisch bei den Unterlassungsdelikten ist zu prüfen, ob eine rechtfertigende Pflichtenkollision vorliegt:
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Objektive Voraussetzung
Kollision mehrerer gleichrangiger Handlungspflichten, von denen der Täter nur einer nachkommen kann.
Str. ob auch bei gleichwertigen Rechtsgütern, aber unterschiedlicher Pflichtenstellung einschlägig: z.B. Rettung des Freundes (wg. § 323c StGB) vs. Rettung der Ehefrau (wg. § 13 I StGB). -
Subjektive Voraussetzung
Kenntnis der rechtfertigenden Situation.
Schuld
Allg. Schuldelemente
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für die allg. Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Besonderer Entschuldigungsgrund: Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
Spezifisch bei Unterlassungsdelikten ist nach h.M. als ungeschriebener Entschuldigungsgrund die (Un-)Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu untersuchen. Dies erfolgt im Rahmen einer Gesamtabwägung zwischen ...
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eigenen billigenswerten Interessen, die durch Erfüllung der Handlungspflicht gefährdet sind und
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zu befürchtenden Rechtsguteingriffen auf Opferseite
Bsp.: T rettet ihren Freund statt ihrer Schwester, für die sie garantenpflichtig ist, aus dem brennenden Haus
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